"Ostarbeiterinnen": Lager VI der Firma Carl Zeiss, Lutherstraße/Talstraße 99, Jena

Während des Zweiten Weltkriegs zwang die Firma Carl Zeiss Jena insgesamt 1001 Frauen und Männer aus Osteuropa in ihren Dienst. Ab 1942 wurden große Lagerkomplexe in der Lutherstraße/Ecke Talstraße erbaut, um sie unterzubringen. Das Lager VI wurde im Oktober 1942 speziell für Frauen aus Osteuropa errichtet und beherbergte im Jahr 1943 580 sog. „Ostarbeiterinnen“.

Als „Ostarbeiter“ bezeichneten die nationalsozialistischen Behörden Zwangsarbeiter:innen aus den besetzten Gebieten der Sowjetunion. Für sie galten strenge Aufenthalts- und Arbeitsbestimmungen. Sie mussten als Kennzeichen ein Abzeichen mit der Aufschrift „OST“ auf der Kleidung tragen und waren in umzäunten Lagern untergebracht, die sie außerhalb der Arbeitszeiten nicht verlassen durften.

Zu den im Lager VI untergebrachten „Ostarbeiterinnen“ der Firma Carl Zeiss Jena gehörte die 16-jährige Nina Wassilywna Koslowa aus der Region Winnyzja in der Ukraine. Sie erinnert sich, dass ihre Arbeit bei Carl Zeiss in Jena von unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen und physischer und psychischer Misshandlung durch deutsche Vorgesetzte gezeichnet war.

„Nach der Ankunft in Jena wurden wir in einer großen Halle untergebracht, von dort wurden wir von unseren ‚Arbeitgebern‘ abgeholt und ins Lager gebracht. Nach der Ankunft im Lager überkam mich große Angst und Trauer nach den Verwandten (Mutter und Schwester). Das Lager befand sich am Stadtrand. Auf einer Seite war der Wald, auf der anderen – ein Bächlein, Wald und ein Waldweg. Das Lager bestand aus alten Holzbaracken (das waren 4 bis 5 Bauten). Im Lager waren schon die Zwangsarbeiter untergebracht. Unsere Gruppe aus 20 Menschen wurde auf Vollständigkeit geprüft, danach sollte jeder von uns ein Stück Stoff mit der Aufschrift ‚OST‘ auf unsere Kleider annähen, und dann mussten wir zurück in die Baracke gehen. […]
Bericht von Nina Wassilywna Koslowa über die Ankunft in Jena (Übersetzung aus dem Ukrainischen), Mai 2013. (Stadtarchiv Jena)
Das Lager war vom Stacheldraht umgeben und wurde von den Wachleuten bewacht. Die Adresse unseres Lagers: Talstraße, Lager 6, Zimmer 8, Jena. […]
Bericht von Nina Wassilywna Koslowa über das Lager in Jena (Übersetzung aus dem Ukrainischen), Mai 2013. (Stadtarchiv Jena)
In unserer Gruppe war ein ziviler deutscher Aufseher. Er war sehr grausam. Er trug eine grüne Jacke, und wir haben ihn deswegen ‚die Kröte‘ genannt. Er fragte, was es bedeutet. Wir haben ihm übersetzt, dass das ‚ein guter Mensch‘ bedeutet. Aber er hat doch die wahre Bedeutung dieses Wortes erfahren und uns verprügelt. […]
Schriftlicher Bericht von Nina Wassilywna Koslowa (Übersetzung aus dem Ukrainischen), Mai 2013. (Stadtarchiv Jena)
Die Bevölkerung hat uns unterschiedlich behandelt. Auf dem Weg vom Bus zum Lager wurden wir von einigen Deutschen als ‚Russenschweine‘ beschimpft, und dass wir den Fußweg nicht betreten dürfen. Andere dagegen legten uns auf den Fußweg etwas Brot oder Äpfel und liefen schnell weg, weil sie dafür bestraft werden konnten.“
Schriftlicher Bericht von Nina Wassilywna Koslowa über Kontakte zur Jenaer Bevölkerung (Übersetzung aus dem Ukrainischen), Mai 2013. (Stadtarchiv Jena)
Heutiger Standort des ehemaligen Zeiss-Lagerkomplexes an der Lutherstraße in Jena. Blick auf zwei Gebäude, die erhöht stehen. Es handelt sich um Wohnhäuser, dreistöckig. An dem linken ist eine Malerei an der Fassade.
Heutiger Standort des ehemaligen Zeiss-Lagerkomplexes an der Lutherstraße in Jena, April 2024. Auf dem Gelände befand sich auch das Lager VI der „Ostarbeiterinnen“. Laut Anliegerinnen und Nachbarn erfolgte der Abriss der Baracken und der anschließende Bau des Wohnkomplexes Ende der 1950er Jahre. Auf den Wohnhäusern erkennt man DDR-typische Wandbilder, sogenannte „Kunst am Bau“.

Weiterführende Literatur:

Andrej Bartuschka/Rüdiger Stutz, „Nach außen [herrschte] Ruhe und Ordnung in den Lagern“: Alltagsrassistische Verpflegungspraktiken gegenüber osteuropäischen Zwangsarbeitern von Carl Zeiss im Spiegel eines Prozesses vor dem Sondergericht Weimar, in: Marc Bartuschka (Hg.), Nationalsozialistische Lager und ihre Nachgeschichte in der StadtRegion Jena. Antisemitische Kommunalpolitik – Zwangsarbeit – Todesmärsche, Jena 2015, S. 97-130.

Autorin: Hannah Odenthal


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